Die Beziehung von

Eltern und Kind

Psychische Aspekte

Zur fachgerechten Betreuung von Schwangeren gehört selbstverständlich auch die Nachsorge nach der Geburt. Ein besonderes Augenmerk sollte u.a. auf Frauen mit (potenziellen) Essstörungen liegen, da im Durchschnitt eine von zehn Müttern nach der Geburt die Kriterien einer klinischen Essstörung erfüllt. Zudem kann das Risiko für schwangere Patient:innen mit Essstörungen, eine postnatale Depression (d.h. eine Depression nach der Geburt) zu entwickeln, erhöht zu sein.

Obwohl sich Essstörungssymptome während der Schwangerschaft bei einigen Frauen verringern (d.h. weniger stark und/oder weniger häufig werden), erleben viele nach der Geburt Rückfälle. Für Frauen mit einer Essstörung kann die Schwangerschaft und die Zeit danach eine besondere Herausforderung darstellen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Essstörungen nicht einfach verschwinden bzw. durch Schwangerschaft und Geburt „geheilt“ werden, und dass die Phase nach der Geburt neue (zusätzliche) psychische Belastungen mit sich bringen kann.

In einer großen norwegischen Kohortenstudie (zur Studie) wurde vor einigen Jahren untersucht, wie viele Frauen 18 Monate nach der Geburt ihres Kindes weiterhin die Kriterien einer bereits während der Schwangerschaft bestehenden Essstörung erfüllten. Die Studie fand u.a. heraus, dass über ein Drittel der befragten Frauen nach der Schwangerschaft noch Symptome einer Anorexia Nervosa und circa ein Fünftel Symptome einer Binge-Eating Störung hatten.

Darüber hinaus stellten die Autor:innen einen starken Zusammenhang zwischen psychischer Belastung (z.B. Symptomen von Angst und Depression) und dem Übergang von einer Binge-Eating Störung zur Bulimia Nervosa fest. Sie vermuteten, dass dies durch die Aufnahme zusätzlicher kompensatorischer Verhaltensweisen nach Essanfällen (wie z.B. selbst-herbeigeführtes Erbrechen) in der Zeit nach der Geburt möglicherweise zu erklären wäre.

Viele Frauen mit Essstörungen erleben auch den Druck, schnell nach der Geburt wieder in Form zu kommen und ihren „alten Körper“ zurückzubekommen. Derartige Erwartungen an sich selbst, häufig vermittelt durch andere (z.B. den Partner), können zusätzlichen Stress verursachen.

Auch die Medien vermitteln oft unrealistische Vorstellungen davon, wie ein Körper nach einer Geburt aussehen sollte, was das Selbstbild negativ beeinflussen kann. Die Verinnerlichung des gesellschaftlich dominierenden Schlankheitsideals kann die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper weiter steigern, was wiederum Essstörungssymptome befeuern kann. Körperunzufriedenheit kann letztlich auch Verhalten beeinflussen, das eng mit dem Körper, seinem Ausdruck und seinen Funktionen zu tun hat; im Kontext von Geburt könnte der Wunsch des Körperkontakts und auch das Stillen des Neugeborenen beispielsweise verändert bzw. unerwünscht sein; dies wird weiter unten ausführlich abgehandelt.

Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass der Körper Zeit braucht, um sich nach der Geburt an die neuen Umstände anzupassen. Es ist okay, wenn dieser Prozess länger dauert als erwartet.

Erziehungsstil

Die Herausforderungen, denen sich Mütter mit Essstörungen stellen, können sich auch auf die Ernährung und die Bedürfnisse ihrer Kinder auswirken.

Studien zeigen, dass diese Mütter oft größere Schwierigkeiten haben, die Bedürfnisse ihrer Kinder (in Hinblick auf Ernährung) zu erkennen, während sie gleichzeitig eine erhöhte Verantwortung für deren Ernährung und Gewicht empfinden (zur ersten Studie, zur zweiten Studie, zur dritten Studie). Einige Mütter berichten davon, dass es für sie schwierig oder sogar unmöglich ist, ihre eigene Essstörung vor ihren Kindern geheim zu halten. Andere machen sich Sorgen darüber, dass ihre Kinder übergewichtig werden könnten, und deswegen wiederholt die Körper und Ernährung ihrer Kinder zu kontrollieren. Diese Verhaltensweisen können zu Konflikten und einer belasteten Beziehung zu Kindern führen. Außerdem scheint es, dass Kinder, deren Ernährung von ihren Eltern stärker kontrolliert und eingeschränkt wird, häufiger Essanfälle zeigen und/oder Übergewicht haben.

Kinder können das Essverhalten, Einstellungen zu Gewicht und Figur und die körperlichen Aktivitäten ihrer Eltern beobachten und übernehmen. Die Übertragung von Essstörungsmustern kann als Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung bei den Kindern von Betroffenen betrachtet werden.

Fütterungsmuster

Für Mütter, die von einer Essstörung betroffen sind oder waren, können einige Herausforderungen beim Füttern ihres Kindes auftreten. Das Stillen kann zusätzlichen Stress verursachen und mit vielen Unsicherheiten verbunden sein („wie geht es richtig?“). Müttern mit Essstörungen fällt es oft schwer, passende Mahlzeiten für ihre Kinder auszuwählen. Entsprechend wird in Studien häufig beobachtet, dass betroffene Mütter ihre Kinder langsam füttern, (zu) kleine Portionen anbieten und möglicherweise keine festen Fütterungszeiten einhalten (zur Studie). Aufgrund ihrer eigenen Essstörung können Mütter potenziell Schwierigkeiten haben, die Signale für Hunger und Sättigung ihres Kindes zu erkennen und bestärkende Kommentare zur Nahrungsaufnahme zu machen. In einer Studie von 2014 wurde beobachtet, dass Mütter mit Essstörungen beim Füttern oft trauriger oder distanzierter wirkten.

Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 deutete darauf hin, dass das Körperbild der Mutter einen Einfluss darauf haben könnte, ob sie sich dafür entscheidet, überhaupt und über einen längeren Zeitraum hinweg zu stillen. Einige Studien zeigen, dass Frauen, die nach der Geburt mit ihrem Körper unzufrieden sind, sich seltener für das Stillen entscheiden. Frauen mit einer Anorexia nervosa während der Schwangerschaft und anhaltenden Essstörungssymptomen nach der Entbindung stillen möglicherweise weniger oder für eine kürzere Dauer als Frauen ohne Essstörung. Psychologische Gründe dafür könnten eine gestörte Körperwahrnehmung und Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper sein, Angst vor Veränderungen der Brustform, Unwohlsein mit der Entblößung der Brüste zum Stillen und mit der Intimität des Stillens.

Viele Betroffene finden es auch schwer, die Ernährungsanforderungen für das Stillen zu erfüllen.

Wenn bereits aus der Vergangenheit Probleme mit dem Stillen bekannt sind, kann es für Ärztinnen und Ärzte ratsam sein, mögliche Zusammenhänge mit dem Körperbild offen anzusprechen.

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